Hochkarätig besetzte Fachtagung beleuchtete Problemfeld der von suizidgefährdeten „Jungen Menschen“
Im September 2017 organisierte das Gesundheitsland Kärnten erstmals die „Fachtagung Suizidprävention“. „Die Premiere war ein derartiger Erfolg, dass uns das ein Auftrag gewesen ist, die Fachtagung fortan jährlich durchzuführen. Heuer, mit dem Schwerpunktthema „Junge Menschen“, haben wir alle Rekorde gesprengt: Nach nur zwei Tagen mussten wir das Anmeldeportal für die Präsenzveranstaltung schließen, weil wir „ausverkauft“ waren. Neben mehr als 200 Teilnehmenden vor Ort folgten rund 300 Teilnehmende der Konferenz online“, informierte Gesundheitsreferentin Beate Prettner im Rahmen einer Pressekonferenz. „Ich möchte durch Präventionsarbeit – und nicht zuletzt mit unserer jährlichen Fachtagung – dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen nichts sind, was man verstecken muss. Im Gegenteil: Man muss darüber reden! Nur so kann es gelingen, schwere Depressionen und letztlich Suizide zu reduzieren“, betonte Prettner.
Wie sie erläuterte, war und ist die Zahl der Suizidtoten europaweit, österreichweit und kärntenweit hoch: „Im langjährigen Schnitt nehmen sich in Österreich jedes Jahr rund 1.200 Menschen das Leben. In Kärnten sind es im langjährigen Durchschnitt rund 110 Suizide. Wir können die Thematik also nicht ernst genug nehmen. Hinter jeder Zahl steht ein Menschenleben. Und hinter jeder Zahl stehen Schicksale“, sagte die Gesundheitsreferentin.
Konkret wurden in Kärnten im Jahr 2021 106 Suizide, im Jahr 2022 97 und im Jahr 2023 119 Suizide registriert. „Der Anstieg macht betroffen. Allerdings ist er im Österreich-Vergleich kein Ausreißer. Von den Suizidrekorden in den 1980er Jahren sind wir Gott sei Dank weit entfernt – damals lagen die Zahlen bei rund 180 pro Jahr.“ Erfreulicherweise schert Kärnten aus dem Trend bezüglich Zunahme bei Suiziden von jungen Menschen aus. „Nichtsdestotrotz heißt es – und das ist auch der klare moralischer Auftrag -, tagtäglich alles daranzusetzen, unsere Kinder und Jugendliche bestmöglich psychisch und mental zu stärken“, ist Prettner überzeugt.
Als einziges Bundesland verfügt Kärnten über eine so genannte Suiziddatenbank. Diese wurde unter Federführung von Primarius Herwig Oberlerchner im Jahr 2018 realisiert. Seit dessen Pensionierung wird sie von Dr. Elmar Dobernig weitergeführt.
„Mit der Suiziddatenbank haben wir die Möglichkeit, anhand von 30 Parametern den Risikofaktoren auf die Spur zu gehen und daraus Maßnahmen abzuleiten. Das heißt, wir können unsere Suizidprävention dementsprechend anpassen.“ So habe das Land Kärnten in den vergangenen Jahren auch speziell für Jugendliche neue Präventionsmaßnahmen entwickelt. „Wir haben beispielsweise in unsere Homepage „Wir helfen dir“, die bei Liebeskummer, Mobbing, Leistungsdruck, Angst, Stress hilft, eine Chatfunktion der Seelsorge Kärnten eingebaut. Von 16-23 Uhr kann man jeden Tag direkt mit der Seelsorge Kärnten chatten. Zudem konnten wir Matakustix als Testimonial für unsere neue Kampagne „Wir helfen dir“ gewinnen. Darüber hinaus bieten wir kostenlose Workshops für Jugendliche an: zum Beispiel „Gesund, selbstbewusst und gestärkt durch den Schulalltag“ in Kooperation mit pro mente Kärnten oder „Die Schreibstätte“ von Clemens Luderer.
Laut Dr. Dobernig ließen sich durch die Suizidstatistik sehr zielführend Risikofaktoren ableiten, auf die man in der Präventionsarbeit eingeht. Zur Suizidstatistik des ersten Halbjahres 2024 präsentierte er folgende Zahlen: Die Anzahl der Suizide lag in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 bei 61, 2022 bei 57, 2023 bei 60 und 2024 bei 59 Suiziden – „wir befinden uns heuer also im Durchschnitt der Vorjahre“, so Dobernig. Verändert habe sich das Geschlechterverhältnis: Lag das Geschlechterverhältnis im Halbjahr 2023 bei 12 Frauen (20 %) und 48 Männern (81 %), so liegt dieses heuer nach sechs Monaten bei 18 Frauen (31 %) und 41 Männern (69 %). Hervorgestrichen wurde von Dobernig der psychische Krankheitsstatus der Betroffenen: „24 Personen, also 41 Prozent, hatten eine psychische Erkrankung. Elf Personen, und damit 19 Prozent, wiesen eine körperliche Erkrankung auf.“
Dr.in Christa Rados, fachliche Leiterin der Kärntner psychosozialen Therapiezentren, zeigte sich wie die Gesundheitsreferentin überzeugt, dass „das Wichtigste Instrumentarium, das wir im Kampf gegen Suizide haben, die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen ist.“ Und: „Das große Ziel wäre es, zu einer suizidpräventiven Gesellschaft zu kommen. Und zwar mit einem Gatekeeper-Modell, wo man in unterschiedlichen Gruppen Leute in dieser Thematik ausbildet, die dann in ihrem Bereich als kompetente erste Ansprechpersonen und quasi Lotsen dienen. Über seine Nöte und Probleme zu reden, das ist der erste und wichtigste Schritt“, so Rados.
In eben diese Kerbe schlug auch die Wiener Psychotherapeutin Dr.in Katrin Skala, die sich vorrangig mit dem Thema Suizid und Drogentod bei jungen Menschen beschäftigt. „Auch in der Sucht sind es meistens psychische und psychiatrische Themen, die Basis und Auslöser sind. Wir müssen alles daransetzen, dass wir so früh wie nur möglich eingreifen können – also bevor sich die psychische Situation festsetzt.“
Der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Klagenfurt, Primarius Dr. Thomas Trabi, bestätigte: „Vom Suizid gefährdet sind besonders Jugendliche mit psychischen Problemen, mit einem Trauma oder Jugendliche, die aus einem problembehafteten Umfeld kommen.“ Laut Trabi sei die zentrale Frage, wie es gelingen könne, Jugendliche zu erreichen, die nicht von sich aus zu uns kommen, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für ihn wäre es sinnvoll zu überlegen, den Zugang zu Tötungsmitteln zu verschärfen: „Wir sollten etwa über eine Verschärfung des Waffengesetztes nachdenken oder über eine neue Abgabenregelung des Medikamentes Paracetamol reden“, regte Primarius Trabi an.
Foto: © Büro Prettner