Zahl junger Betroffener steigt.
Belastende Ereignisse wie der Verlust von geregelten sozialen Kontakten, aktuell die Angst vor einem Krieg, finanzielle Sorgen, Überforderung, der Druck aus den Sozialen Medien – das alles ruft psychische Reaktionen hervor. Vor allem auch Essstörungen gehören dazu. Die Folge ist: Die Zahl von Menschen mit Essstörungen hat deutlich zugenommen“, informierten Gesundheitsreferentin Beate Prettner und Dr. Michael Zeiler, Experte für Essstörungen an der MedUni Wien, bei einer Pressekonferenz. „Tatsächlich müssen wir von einer Verdoppelung bis Verdreifachung in Österreich ausgehen“, sagte Zeiler. Laut dem Experten sei es besonders besorgniserregend, dass die ohnehin jungen Patienten noch jünger werden: „Vor drei, vier Jahren waren Zwölfjährige die Ausnahme. Das sind sie heute leider nicht mehr – sogar Elfjährige sind betroffen.“
Abgehalten wurde die Pressekonferenz im Rahmen der Fachtagung „Essstörungen – Hilfeschrei der Seele“. Diese wurde vom Land Kärnten/Gesundheitsland Kärnten in Kooperation mit der PH Kärnten, der Bildungsdirektion Kärnten und EqualiZ für Pädagogen veranstaltet. „Das Thema ist brisant – die Tagung war binnen eines Tages ausgebucht“, berichtete Prettner. Für sie sei es „wichtig, jene Menschen zu erreichen, die tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen im direkten und unmittelbaren Kontakt stehen, das sind eben unsere Pädagogen. Abseits der Familie sind sie es, die Veränderungen bei den Schülern wahrnehmen. Und nun stellt sich für sie die Frage: Wie reagiere ich? Genau darum ging es bei dieser Fachtagung: Wir wollten ihnen Hilfestellung beim Helfen geben“, so Prettner. Als Vortragende konnten namhafte Experten aus ganz Österreich gewonnen werden, unter ihnen Dr. Michael Zeiler.
Wie Dr. Zeiler ausführte, habe in den vergangenen Jahren – unter anderem ausgelöst durch vermeintlich ‚gesunde‘ Ernährungstipps und durch fragwürdige Inhalte zu Körperbildern in sozialen Netzwerken – die Sorge um eine gute Figur stark zugenommen. Das sei einer der Hauptfaktoren, der zu Essstörungen führt. Die Betroffenen selbst hätten ein verzerrtes Bild von sich und ihrem Körper – und daher keine Krankheitseinsicht. „Das macht die Behandlung auch sehr langwierig. Der Aufenthalt in Kliniken dauert im Schnitt drei bis fünf Monate. Solange braucht es, bis die Patienten wieder ihr Normalgewicht erreicht haben. In der Folge sind Psychotherapien notwendig – durchschnittlich dauert es drei bis fünf Jahre, bis man sagen kann, dass jemand die Essstörung überwunden hat“, erklärte Zeiler. Und er ergänzte: „Von den psychischen Erkrankungen sind Essstörungen jene mit der höchsten Sterblichkeitsrate – nicht bei Jugendlichen, aber bei Erwachsenen.“
Für Gesundheitsreferentin Prettner ist es zentral, die Betroffenen so früh wie möglich zu unterstützen. „In Kärnten gibt es viele Einrichtungen und Institutionen, die auf Essstörungen spezialisiert sind. Eine Essstörung muss rasch erkannt werden, denn die Heilungschancen sind zu Beginn der Krankheit am größten.“ Zudem machte sie darauf aufmerksam, dass mit Essstörungen nicht nur Bulimie und Magersucht gemeint seien. „Es geht auch um Essattacken bis hin zu einem Essverhalten, das zu Adipositas und Fettsucht führt.“ Daher sei „das Erlernen eines richtigen Essverhaltens von Kindheitsbeinen an so wichtig.“ Die neue Leiterin des Gesundheitslandes Kärnten, Sarah Pucker, wies in diesem Zusammenhang auf die vielen Initiativen des Landes hin: „Wir setzen auf die „Gesunde Kinderbetreuung“, die „Gesunde Schule“, die „Gesunde Schuljause“. In Kooperation mit unseren 123 „Gesunden Gemeinden“ werden zahlreiche Veranstaltungen gerade zu den Themen Ernährung und Essverhalten organisiert“, betonte Pucker. „Das Ziel unserer präventiven Maßnahmen ist es, den Kindern und Jugendlichen in Kärnten das Rüstzeug mitzugeben, zu starken und selbstbewussten Persönlichkeiten zu reifen – zu jungen Menschen, die Werbereizen, Essverführungen, Bodytraummaß-Diktaten in den Sozialen Medien die Stirn bieten können. Es geht also um eine Stabilisierung der Psyche“, sagten Prettner und Pucker.
Foto: Büro Prettner